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Im Hotel «Beau Séjour» in Zimmerwald, einer kleinen Gemeinde im beschaulichen Berner Mittelland, fand vom 5. bis 8. September 1915 ein Treffen statt, welches Einfluss auf die internationale Arbeiterbewegung und auf revolutionäre Bewedungen hatte.
Mitte des 19. Jahrhunderts bildeten sich in Europa politische Parteien, die sich an sozialdemokratischen, sozialistischen oder kommunistischen Idealen orientierten. Neben dem Anspruch, die Interessen der Arbeiterbewegung zu vertreten waren sie sich in der Ablehnung von Nationalismus, in der Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem und in der Forderung nach internationaler Solidarität und Gerechtigkeit einig. Zudem teilte man antimilitaristische und friedenspolitische Überzeugungen weitgehend. Der Erste Weltkrieg dieser Parteien in das Dilemma, wie angesichts militärischer Auseinandersetzungen mit pazifistischen Überzeugungen umgegangen werden sollte. In den meisten Ländern der am Krieg beteiligten Ländern schwenkten die Parteien auf eine «Burgfriedenpolitik» ein. Der Begriff war im Deutschen Kaiserreich entstanden und bezeichnete das Zurückstellen innenpolitischer Konflikte zu Gunsten einer nationalen Einheit. So forderte etwa Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg am 4. August 1914 – zwei Tage nach dem Kriegseintritt des Deutschen Reiches, der ohne offizielle Kriegserklärung erfolgt war – im Deutschen Reichstag: «Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben». Die Aufforderung stiess auf beinahe ungeteilte Zustimmung, auch bei der stärksten Oppositionsfraktion, den Sozialdemokraten. Hintergrund war, dass es der Regierung gelungen war, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass das Deutsche Kaiserreich einen Verteidigungskrieg gegen Russland führen müsse. Ähnliche Entwicklungen gab es auch in anderen Ländern. Wichtige Exponent/innen der Arbeiterbewegung, etwa die «Gruppe Internationale» um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Deutschland, die russischen Bolschewiki, die Tribunisten in den Niederlanden, revolutionäre Syndikalisten in Frankreich und sozialdemokratische Parteien in Polen und Litauen stellten sich der Unterstützung von Kriegsanstrengungen entgegen und kämpften für ihre antimilitaristische Überzeugung. Spannungen über diese Frage gab es auch in den Sozialistischen Parteien in neutralen Ländern, so in der Schweiz und in Italien. Persönliche Kontakte des Schweizer Sozialdemokraten Robert Grimm zu Angelica Balabanova, einer international tätigen sozialistischen Politikerin und Publizistin und Vorsitzenden des Partito Socialista Italiano (PSI) gaben den Ausschlag für die Idee, die Sozialistische Internationale neu zu organisieren und zu einen. Am 27. September 1914 fand in Lugano eine erste Konferenz von Mitgliedern der beiden Parteien statt, an welcher eine Resolution verabschiedet wurde, welche bereits wesentliche Punkte des Zimmerwalder Manifests enthielt. Am 11. Juli 1915 fand in Bern eine weitere Vorbereitungssitzung statt, an der sich Gruppen trafen, die von der «Hinhaltetaktik» und Burgfriedenpolitik der Parteileitungen enttäuscht waren und die sich für eine Weiterführung des Klassenkampfes einsetzen wollten. Am Morgen des 5. September 1915 war es dann soweit: 38 Delegierte aus 12 Ländern trafen sich im Volkshaus in Bern und gelangten mittels vier Fuhrwerken und von der bernischen Polizei unbemerkt ins rund zehn Kilometer entfernte Dorf Zimmerwald. Prominentester Teilnehmer der Konferenz war Wladimir Iljitsch Lenin. Die Konferenz begann mit der Verlesung von Grussbotschaften von verhinderten Delegierten wie der britischen Delegation, der keine Pässe ausgestellt worden war sowie eines Briefes von Karl Liebknecht. Anschliessend wurde die momentane Lage besprochen. Ein Erfolg der Konferenz war die gemeinsame Deklaration der deutschen und französischen Delegationen, die den Krieg verurteilte und einen Frieden ohne Annexion forderte. Die Delegierten verpflichteten sich, die Burgfriedenpolitik ihrer Länder zu bekämpfen und den Klassenkampf weiterzuführen. Eine Redaktionskommission, der Robert Grimm (Schweizer Delegation), Georg Ledebour (Deutsche Delegation), Wladimir Iljitsch Lenin und Leo Trotski (Russische Delegation), Alphonse Merrheim (Französische Delegation), Christian Georgijewitsch Rakowski (Rumänische Delegation) sowie Giuseppe Emanuele Modigliani (Italienische Delegation) angehörten, verfasste nach kontroversen Diskussionen ein gemeinsames Manifest. Ursprünglich gab es drei Entwürfe, einen des rechten Flügels der deutschen Sozialisten, einen von Trotzki sowie einen des linken Flügels um Lenin. Der endgültige Text wurde von Grimm und Trotzki verfasst und lag Trotzkis Entwurf am nächsten. Trotz Vorbehalten von allen Seiten unterstützten schlussendlich alle Delegierten das Manifest, in welchem der Erste Weltkrieg zum «Krieg der Kapitalisten» erklärt und die sozialistischen Kräfte zur Einigkeit im Kampf für den Frieden aufgefordert wurden. Die sozialistischen Parteien aller Nationen wurden aufgefordert, ihre Zustimmung zu Kriegskrediten zu verweigern. Von allen Delegierten gemeinsam angenommen wurde zudem eine Resolution, die allen Kriegsopfern und verfolgten Kriegsgegnern die Sympathie der Konferenz aussprach und speziell das Schicksal der Polen, Belgier, Armenier und Juden sowie aller politisch verfolgten hervorhob. Namentlich erwähnt wurden in der Resolution auch Karl Liebknecht, Klara Zetkin, Rosa Luxemburg, Pierre Monatte sowie der ermordete Jean Jaurès. Ausserdem wurde die «Internationale Sozialistische Kommission» ins Leben gerufen, die mit den verschiedenen Gruppen Kontakt halten und die Resultate der Konferenz publizieren sollte. Es gab zwei Nachfolgekonferenzen der Zimmerwalder Bewegung: Vom 24. bis 30. April 1916 fand im Hotel Bären im bernischen Kiental die «Kientaler Konferenz» statt und vom 5. bis 12. September 1917 in Stockholm die dritte Zimmerwalder Konferenz. Anlässlich der Gründung der Kommunistischen Internationalen am 4. März 1919 in Moskau wurde die Selbstauflösung der Zimmerwalder Vereinigung beschlossen, weil nach Ansicht der Kommunisten fortan «alles, was wirklich revolutionär […] war», in die Kommunistische Internationale überging. Von da an trennten sich die Wege der Sozialistischen und der Kommunistischen Internationalen. Die Bedeutung der Zimmerwalder Bewegung liegt darin, dass es 1915 keine andere Initiative zur Beendigung des Ersten Weltkriegs gab. Das Manifest war ein Versuch, den Krieg zu beenden. Das Sterben von Millionen von Menschen hätte damit vermieden werden können. Bestrebungen der linken Fraktion um Lenin, die den Krieg als Bürgerkrieg fortführen und eine Revolution anzustreben, fanden zwar keine Mehrheit, führte aber dazu, dass die linke Identität und das Ziel des gemeinsamen Kampfes gegen den Kapitalismus und damit revolutionäre Bestrebungen, namentlich in Russland, gestärkt wurden. Felix Werner |
Hotel «Beau Séjour» in Zimmerwald
(Bild: Schweizerisches Bundesarchiv) Teilnehmer der Zimmerwald Konferenz vom 5. bis 8. September 1915.
(Bild: Schweizerisches Bundesarchiv) |
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